Die Welt ist schrill geworden. Im Internet haben Debatten längst jegliche Empathie, ja oft jeden Anstand verloren. Und auch wenn es in der “analogen Welt” darum geht, etwas zu verändern und neue Wege einzuschlagen, wird es meist laut und grell – aus den Mündern schäumender “Wutbürger” ebenso wie bei den Selbstinzenierungen bürgerferner Beratungsgremien. Im “Bewusst Seins Kreis” ist das anders. Hier werden Meinungsvielfalt, Achtsamkeit und Gelassenheit groß geschrieben. Genau deshalb kennt noch kaum jemand die private Initiative, die sich um Gutmann-Aluminiumdraht-Geschäftsführer Paul Habbel, Kreisrat Uwe Döbler und zahlreiche andere Entscheidungsträger aus Altmühlfrankens Politik, Behörden, Schulen und Wirtschaft gebildet hat. Anlass, um das zu ändern, ist nun ausgerechnet der Fasching.

Als “Thinktank” versteht sich der “Bewusst Seins Kreis” nicht. Das klingt zu effizienz­orientiert und von oben herab. Die lockere Runde ohne Führung oder Vereinskonstrukt will eher “Anstoßgeber für Wandlungsprozesse in der Region sein”, so Mitinitiator Paul Habbel. Ziel sei es, “die Leute fürs Mitgestalten zu begeistern”, und zwar “ohne Hierarchien und in einer Atmosphäre der Ruhe und Achtsamkeit”, erklärt Senefelder-Schulleiterin Gabriele Gippner. Der Kreis wolle “Räume für andere Betrachtungsweisen öffnen und echte Begegnung schaffen”, ergänzt Gutmann-Mitarbeiter Michael Wolf.

Die drei sitzen zusammen mit fünf weiteren Teilnehmern im Kreis um ein kleines Kunstobjekt. Es dient als Zent­rum der Runde, trennt aber nicht und lenkt nicht ab, wie es ein Tisch oder eine Leinwandpräsentation tun würden. Wer etwas sagen möchte, schnappt sich einen kleinen Stein. So lange er ihn in der Hand hält, spricht kein anderer, alle hören zu. Das sind die Grundvereinbarungen des “Bewusst Seins Kreises”: Vertraulichkeit in einem geschützten Rahmen, Respekt, Ehrlichkeit und Kreativität sowie “mit Interesse und Einfühlungsvermögen zuzuhören und einander auch zu verzeihen, wenn dies einmal nicht gelingt”.

Entstanden ist der Kreis aus einer Filmvorführung mit Diskussion, nach der Uwe Döbler angeregt hatte, sich häufiger in dieser Form zu treffen, um über gesellschaftspolitische Fragen nachzudenken. Seither ist die Runde auf bis zu 30 Teilnehmer gewachsen, die aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, Positionen und Lebenslagen kommen.

Seine Ziele hat der Kreis in einer Präambel formuliert. Statt wegzuschauen oder die Verantwortung abzuschieben, wolle er eine Kultur fördern, “in der Individualität und Vielfalt kein Widerspruch zum Gemeinsamen sind, sondern das Leben bereichern”, heißt es dort. Es gehe den Initiatoren um „bewusstes Zuhören, Hineinfühlen und Verstehen des Andersseins, verbunden mit der Freude am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten“. Der Kreis wolle “Vorbild und Vorreiter für eine stärkere Werte­orientierung und Selbstverantwortung sein” sowie bürgerliches Engagement anstoßen und fördern.

“Es ist in vielen Dingen nötig, in unserer Region zu einer anderen Haltung zu kommen”, meint auch Landrats-Büroleiter Jürgen Simon. “Vieles wird immer komplexer, wir müssen aber versuchen, alle Bürger mit im Boot zu halten.” Anfangs seien die Treffen des Kreises meist “etwas chaotisch”, schmunzelt Paul Habbel. Am Ende sei aber “immer etwas dabei, das man mitnimmt”. Manchmal könne er regelrecht “spüren, wie die Gehirne miteinander tanzen”.

Das gefällt auch Karl Scheuer, Projektleiter der “Mittelschulen-Arbeitswelt-Partnerschaft”. Die Initiative der Hermann-Gutmann-Stiftung möchte der Kreis aktuell fördern. An sie soll der Erlös der Benefiz-Gala der Treuchtlinger Karnevalsgesellschaft am kommenden Samstag, 21. Januar, gehen. “Jeder im Kreis hat ein Ohr für den anderen und hinterher das Gefühl, mit seinen Sorgen und Wünschen nicht allein zu sein”, so Scheuer.

Gabriele Gippner hat diese Atmosphäre nach eigenen Worten insbesondere während des halben Jahrs gespürt, als bis zu 200 Flüchtlinge in der Senefelder-Schule untergebracht waren. “Ich habe viel über die Probleme und möglichen Gefahren nachgedacht. Der Kreis hat mir dabei viel Kraft und Gelassenheit gegeben.” Das Flüchtlings-Thema hält auch Jürgen Simon für beispielhaft: “Wir brauchen die staatlichen Strukturen, aber das reicht nicht. Es braucht auch das Engagement der Gesellschaft.”

Wie aber gelingt es, die Menschen dafür zu gewinnen? “Wir müssen die Leute ernstnehmen und spüren lassen, dass ihre Meinung etwas zählt – auch bei den großen Themen”, sagt der Landrats-Bürochef. Mitgestaltung bedeute, Hierarchien aufzubrechen und “eine Kultur des Wissens, der Teilhabe und der Wertschätzung zu etablieren”. Diese führe in letzter Konsequenz “zu großer Solidarität und der Kraft, Probleme gemeinsam zu bewältigen”.

Trotzdem bleibt bei einem so kleinen, handverlesenen Zirkel der Eindruck des Elitären. Das ist auch den Mitgliedern des “Bewusst Seins Kreises” klar, die ihre Runde deshalb künftig zunehmend für alle Landkreisbürger öffnen wollen. Mit Blick auf die gewünschte Gesprächskultur ist das laut Michael Wolf allerdings “nicht ganz einfach”. Er glaube aber an die Vorbildfunktion, “wenn jeder bei sich selbst anfängt und versucht, anderen Menschen und Meinungen auf Augenhöhe zu begegnen”.

Thematisch konzentriert sich der “Bewusst Seins Kreis” derzeit vor allem auf die Bereiche Bildung, Persönlichkeitsentwicklung und Chancengleichheit von Jugendlichen. Ebenso wie auf den gesellschaftlichen und unternehmerischen Führungsebenen braucht es dort laut Habbel “einen völligen Paradigmenwechsel, weg von Konkurrenz hin zu Kooperation.”

Besonders betrifft das die Mittelschüler, die laut Jürgen Simon “keine Schüler dritter Klasse sein dürfen”. Es sei “traurig, wie wenig diese jungen Leute begeistert für Bildung sind und wie wenig sie glauben, dass aus ihnen einmal etwas werden kann”, bestätigt Treuchtlingens Mittelschulleiter Ulrich Salomon. Oft würden sich die Lebenswelten von Mittelschülern und Lehrern nicht im Geringsten berühren – gerade an einer Gesamtschule wie der Senefelder-Schule, wo zusätzlich “Lehrer auf Schüler treffen, mit denen sie schon bei der Wahl des Studiums nichts zu tun haben wollten”.

Wege, um diese Jugendlichen trotzdem zu erreichen, sind nach Ansicht Salomons “Wertschätzung und Vertrauen”. Lehrer müssten zugleich Vorbilder und Mentoren sein. Und es brauche mehr “pädagogischen Optimismus”. Das ist auch die Grundlage für das Engagement des “Bewusst Seins Kreises”. “Unser Anspruch sind keine vollständigen Antworten”, fasst Paul Habbel zusammen. “Wir irren voran, und das ist auch gut so.”

Auszug aus dem Treuchtlinger Kurier vom 18.01.2017 / TK-Patrick Shaw